Der Steuerirrsinn am Beispiel von Singlebörsen: |
Auch Datingportale müssen im zweiten Halbjahr nur noch 16% Mehrwertsteuer abführen. Behalten sie das Geld einfach oder wird die Ersparnis an den Kunden weitergereicht? Antwort: Die Gesetze sind zu kompliziert für eine Antwort…
Ein Beitrag von Henning Wiechers
Henning Wiechers ist der Gründer vom Singlebörsen-Vergleich.
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Die Welt, wie Politiker sie sich vorstellen: Ein Single bucht im August für drei Monate eine Singlebörse. Entweder bezahlt er den gleichen Preis wie jetzt (und die Singlebörse steckt sich 3% Mehrwertsteuer in die Tasche) oder die Singlebörse reduziert verbraucherfreundlich den Preis von 119 Euro auf 116 Euro.
Die Praxis: Ob 16 oder 19 Prozent Mehrwertsteuer fällig sind, hängt davon ab, wie hoch der Mehrwertsteuersatz am letzten Tag des Leistungszeitraumes ist. Und damit beginnt das große Chaos…
Wäre ein Singlebörsen-Abo so etwas wie eine "Jahreskarte für den Zoo", müsste man sich um alle Kunden kümmern, deren Abo in der zweiten Jahreshälfte ausläuft. Also z.B. um jemanden, der im vergangenen Herbst ein 12-Monats-Abo plus 19% Mehrwertsteuer abgeschlossen hat und für den im Nachhinein nun nur 16% aufgerufen werden.
Die Singlebörse müsste also das fertig bilanzierte Geschäftsjahr 2019 wieder aufmachen, um sich vom Staat diese Mehrwertsteuer zurückzuholen. Eine Pflicht, diesen Vorteil an die Kunden weiterzugeben, sieht der Gesetzgeber nicht: Vertrag ist Vertrag und Endpreis ist Endpreis. Aber vielleicht ist ja die eine oder andere Singlebörse so kulant oder hofft auf einen PR-Coup…
Vielleicht wird ein Singlebörsen-Abo steuerlich aber auch so eingeordnet wie Leasing- oder Mietverträge mit klar definierten monatlichen Teilleistungen und Monatszahlungen. Das könnte v.a. für Singlebörsen gelten, die monatlich abbuchen. Hier müsste man sich bei der Frage "16 oder 19" jeden Monat separat anschauen und berechnen.
Gut: Der Gesetzgeber steht bei dieser Variante auf der Seite des Kunden: Die Singlebörse wäre verpflichtet, die Ersparnis durchzureichen. Schlecht: Nur, wenn der Vertrag mehr als vier Monate vor der Steueränderung geschlossen wurde…
Jetzt wird es völlig abstrus: Kauft ein Kunde Coins, z.B. für virtuelle Geschenke oder um Damen vor der Cam tanzen zu lassen, ist dies ein Vorschuss auf noch zu erbringende Teilleistungen. Maßgeblich ist der zukünftig geltende Steuersatz am Tag der Leistungserbringung.
Sprich wer im Juni Coins kauft und diese im Juli ausgibt, müsste von der Singlebörse eine Gutschrift bekommen. Und wer im Dezember Coins kauft und diese im Januar einsetzt, darf mit einer Nachzahlung rechnen.Ganz abgesehen davon, dass kein Unternehmen zum aktuellen Zeitpunkt über ein System verfügt, das sowas abrechnen kann…
Ähnlich kompliziert sieht es beim Marktführer Parship aus: Ein Hälfte der Leistung besteht darin, dass Kunden für einen gewissen Zeitraum das Portal nutzen dürfen. Die andere Hälfte macht die "Kontaktgarantie" aus, z.B. 10 Flirtdialoge binnen 12 Monaten. Wie bei den Coins wird mit jedem zustande gekommenen Flirtdialog eine Teilleistung erbracht, auf die der Mehrwertsteuersatz des jeweiligen Tages anzuwenden ist.
Bei rund 200 Millionen Euro, die alle Singlebörsen in Deutschland zusammen jährlich einnehmen, redet man also von einer Ersparnis um 3 Millionen Euro.
Ein Großteil davon wird direkt an Steuerberater und Programmierer gehen, die nun mit heißer Nadel steuerkonforme Lösungen stricken müssen. Wobei bisher nur darüber spekuliert werden kann, was "steuerkonform" denn nun bedeutet…
Die im Vergleich geradezu triviale Corona-App hat übrigens 68 Millionen Euro gekostet…