"Das Gesamtvolumen an Romance Scam hat deutlich zugenommen."
Prof. Monica WhittyInternationale Expertin für Romance-Scammer Veröffentlicht: 9. Oktober 2012 |
Auf der Europa-Tagung der InternetDatingConference sprachen wir mit der Referentin Monica Whitty, die sich seit 2005 mit dem Thema „Romance-Scammer“ befasst. Sie arbeit eng mit der englischen Polizei zusammen und gilt als führende Expertin auf diesem Gebiet.
Dieses Interview ist eher für Fortgeschrittene, die Basics zum Thema Romance Scam finden Sie in diesem Ratgeberartikel.
Wenn man selbst von solchen Fällen liest, denkt man in der Regel: „Das kann mir ja nicht passieren!“
Frau Prof. Whitty, stimmt es, dass Romance-Scammer es primär auf Frauen abgesehen haben?
Wir konzentrieren uns auf die afrikanischen Romance-Scammer. Sie geben sich online als Männer aus, die vorgeben sich in Frauen verliebt zu haben. Das Ziel ist natürlich, die Opfer dazu zu bewegen, Geld zu transferieren. Dieses Geschäft wird mittlerweile sehr professionell betrieben, täglich werden von Afrika aus deutlich mehr als 10.000 Profile in Datingportalen angelegt.
Männer sind von einer anderen Art Romance-Scam betroffen. Hier sind es die Osteuropäerinnen, die männliche Singles zu manipulieren versuchen.
Und dann gibt es natürlich noch individuelle Fälle von Romance-Scam, etwa Heiratsschwindler. Das ist aber für uns nicht relevant, da wir uns auf das internationale organisierte Verbrechen fokussieren.
Welche Datingportale sind besonders betroffen?
Am stärksten penetriert werden natürlich die großen Mainstream-Webseiten, insbesondere die kostenlosen Angebote, denn dort müssen sich die Romance-Scammer nicht um die Bezahlung mit gefälschten oder entwendeten Kreditkarten kümmern.
Sogar Online-Partnervermittlungen sind betroffen. Der lange Persönlichkeitstest und die geringe Anzahl von möglichen Kontakten schreckt hier nicht ab, denn die Romance-Scammer wissen, dass hier die Erfolgswahrscheinlichkeit höher ist, da Opfer in diesen hochwertigen Portalen weniger mit Attacken rechnen.
Wie viele Frauen sind betroffen?
Weit mehr als Sie denken! Wir haben auf Basis einer repräsentativen Studie herausgefunden, dass es in Großbritannien rund 200.000 Opfer gibt.
In den USA veröffentlichte das zum FBI gehörige IC3 („Internet Crime Complaint Center“) kürzlich, dass von amerikanischen Bürgern im Jahr 2011 insgesamt 50,3 Millionen US-Dollar an Romance-Scammer überwiesen wurden, davon 39 Millionen US-Dollar von Frauen, in der Regel über 50 Jahre alt.
Und das sind wie gesagt nur die Fälle, die von Betroffenen gemeldet und von lokalen Polizeidienststellen an die Zentrale weitergegeben wurden.
Wieso Fallen Opfer eigentlich auf Romance-Scammer herein? Warum überweisen so viele Frauen über 1.000 US-Dollar an Wildfremde nach Afrika?
Der Hauptgrund ist natürlich, dass viele Frauen über 30 in den westlichen Industrieländern vereinsamt sind und sich nach Zuneigung sehnen. Diese Zuwendung bekommen sie vielfach in Datingportalen eben nicht und sind dadurch anfällig für Manipulation. Wenn dann ein vermeintlicher Traumprinz vorbeikommt und per E-Mail, später auch per Brief und Telefon, seine Liebe beteuert, wird ein gewisser Prozentsatz dieser Frauen leider sehr unvorsichtig.
Letztlich ist es eben die große Hoffnung auf einen Lebenspartner, die diese wirklich sehr professionell vorgehenden Afrikaner vermitteln können und dann für ihre kriminellen Zwecke ausnutzen.
Aber die Presse ist doch voll von Berichten über Romance-Scammer. Die Opfer müssten doch gewarnt sein...
Wir haben es hier mit einem klassischen psychologischen Phänomen zu tun: Wenn man selbst von solchen Fällen liest, denkt man in der Regel: „Das kann mir ja nicht passieren!“ Die Fälle decken sich ja auch nicht zu 100%, die Opfer werden in den Medien gerne als Verlierer dargestellt. Wer würde sich da schon freiwillig in dieselbe „Verliererklasse“ einordnen und beherzigen: „Da sollte ich aber vorsichtig sein…“
Wie geht es den Opfern, nachdem sie auf Romance-Scammer hereingefallen sind?
Wir haben im Rahmen unserer Forschungsprojekte mit vielen Opfern gesprochen und sie begleitet. In der Regel durchlaufen sie verschiedene Phasen.
Zunächst einmal verstehen sie ja eine Weile gar nicht, dass sie Opfer geworden sind, und haben häufig die Hoffnung, dass der Romance-Scammer nur seinen Flug verpasst hat und vielleicht doch noch eintrifft. In dieser Phase überweisen Sie in besonders dreisten Fällen noch mehr Geld, wenn die Scammer ihre Betrugsgeschichte weiter ausbauen.
Irgendwann kommt dann die Erkenntnis, dass man einem Betrüger aufgesessen ist. Diese Erkenntnis ist natürlich mit viel Schmerz verbunden, zumal diese Art von Verbrechen sehr intim ist und die Opfer von sich wissen, dass sie sich nicht besonders geschickt verhalten haben. Es geht also auch um Peinlichkeit, anders als zum Beispiel bei einem Diebstahl.
Es gibt zwar wertvolle Anti-Scammer-Foren, in denen sich die Betroffenen zusammenschließen ... Aber der einzelnen Frau bringt diese Aktivität nichts.
Danach setzt normalerweise die Wut ein - kombiniert mit dem Wunsch, die Täter zu finden. In diesem Stadium verharren die Opfer häufig monate- oder sogar jahrelang. Das ist besonders bitter, denn sie müssen nach vorne schauen und weiterleben.
Die Suche nach dem Täter bringt sie in ihrem Leben nicht weiter und ist zudem illusorisch, denn der Täter ist sehr schwer ausfindig zu machen. Es entstehen im Internet durchaus wertvolle Anti-Scammer-Foren, in denen sich die Betroffenen zusammenschließen, in Datingportalen nach verdächtigen Profilen suchen und diese an den Pranger stellen. Aber der einzelnen Frau bringt diese Aktivität nichts.
Unsere Opferberatung hat deshalb den Schwerpunkt, Frauen aus diesem Stadium herauszubringen und nach vorne schauen zu lassen.
Wie haben sich die Methoden der Romance-Scammer in den letzten Jahren verbessert?
Für uns ist schwer zu messen, wie sich die Täter auf der psychologischen Ebene verbessert haben oder wie sie z.B. realistischere Profile erstellen und diese dann animieren.
Was wir messen können ist zum einen das Gesamtvolumen an Romance-Scam, und das hat deutlich zugenommen. Übrigens auch dadurch, dass Romance-Scammer schneller neue, oft noch recht unbekannte Datingportale überrumpeln, bei denen es weniger ausgereifte Schutzmechanismen gibt. Und es entsteht Wachstum dadurch, dass sie ihre Aktivitäten auf immer mehr Ländern ausweiten, fernab von den Klassikern USA, England oder Deutschland.
In Bezug auf die Technologie und Logistik sind Romance-Scammer absolut anpassungsfähig, sehr gut organisiert und teilweise sogar beeindruckend, wie wir zugeben müssen. Es handelt sich eben um internationale Verbrecherorganisationen, die in einem Wettlauf mit der Scam-Prevention und –Verfolgung stehen.
Einer der Schwachpunkte beim Romance Scam der Version 1.0 war der direkte Bezug zu Afrika, z.B. indem Datingportale einfach verdächtige IP-Adressen aus Verdachtsländern filtern konnten, das Geld per Western Union nach Afrika transferiert werden musste oder Telefonate mit Opfern von afrikanischen Anschlüssen getätigt wurden.
Heute kennen die Scammer diverse technische Tricks, z.B. das Umleiten von IP-Adressen, oder die Nutzung von Blackberry-Smartphones, bei denen alle Internetaktivitäten und E-Mails über die Blackberry-Zentrale in London laufen.
Natürlich werden auch Telefonate international so umgeleitet, dass der Ursprung nicht mehr zu erkennen ist. Und mittlerweile haben viele der Romance-Scammer Konten in den Zielländern angelegt, um den umständlichen und verdächtigen Transfer via Western Union zu umgehen. Wir gehen davon aus, dass alleine in Deutschland über 50 Mittelsmänner aktiv sind. Und natürlich ist auch Paypal in Mode gekommen.
Wie haben die afrikanischen Romance-Scammer die Welt unter sich aufgeteilt?
Vereinfacht kann man sagen, dass die USA von Ghana aus bearbeitet wird, während die Nigeria-Connection Westeuropa „betreut“. Mit Ausnahme von Frankreich, hier ist die Elfenbeinküste aufgrund der sprachlichen Nähe involviert.
Frankreich ist übrigens hochprofitabel für die Scammer, denn dort wird auch im Alltag noch sehr häufig mit dem Scheck bezahlt. Die Opfer müssen also nicht an eine für sie ungewohnte Zahlungsmethode gewöhnt werden.
Gibt es von Seiten der Ermittlungsbehörden in England schon spezielle Einrichtungen, die sich mit Romance-Scammern beschäftigen?
Großbritannien hat als erstes Land in der EU eine Abteilung innerhalb der SOCA („Serios Organised Crime Agency“) gegründet, die sich mit Cyberkriminalität und dabei eben auch mit Romance-Scammern auseinander setzt.
Die Behörden setzen abgesehen von der Verbrechensverfolgung auf eine sehr offensive Präventionstaktik. Dazu gehören zum einen das Informieren der Bevölkerung, aber auch Gesetze, die es in Verdachtsmomenten erleichtern, dass Organisationen mögliche Täter melden, ohne sich dem Brechen von Datenschutzbestimmungen auszusetzen.
Wir haben mit „Action Fraud“ im Internet eine standardisierte Schnittstelle geschaffen, an die z.B. die Datingportale verdächtige Profile weiterleiten können.
Gibt es schöne Ermittlungserfolge, über die Sie berichten könnten?
Anders als die Polizei, die gerne von einer „guten Zusammenarbeit mit den afrikanischen Behörden“ spricht, empfinden wir die Verbrechensverfolgung in Bezug auf Romance-Scammer in vielen afrikanischen Ländern als eine Katastrophe.
Romance-Scam stellt für einige Länder eine nicht ganz unerhebliche Einnahmequelle dar und vielleicht ist der ein oder andere schwarze nigerianische Polizist nicht allzu motiviert, wenn es darum geht einen Landsmann aufzustöbern und zu verhaften, der eine weiße Frau ausgetrickst hat. Die britischen Behörden bekommen gelegentlich Fotos übermittelt, auf denen Uniformierte einige Dokumente oder Disketten vernichten…
Wenn es darum geht, auf diese Länder internationalen Druck auszuüben, dann stehen zunächst einmal deutlich härtere Arten von Verbrechen auf der Agenda, für deren Bekämpfung und Verfolgung Diplomaten und internationale Organisationen sich einsetzen. Auch uns ist es natürlich klar, dass eklatante Menschenrechtsverletzungen vorgehen.
Aber trotz all dieser widrigen Umstände ist es einer Taskforce Anfang 2012 gelungen, einen der Drahtzieher in Ghana zu verhaften. Er residierte in einer großzügig dimensionierten Villa mit Pool und schickte seine Frauen regelmäßig zum Shopping nach Dubai.
Und wie sieht es in anderen europäischen Ländern mit der Verbrechensbekämpfung aus?
Wir in Großbritannien standen aufgrund der sprachlichen Nähe deutlich früher im Fokus der Romance-Scammer, darum ist es nicht verwunderlich, dass unsere staatlichen Stellen schon länger mit dieser Thematik befasst sind. Lobend erwähnen können wir noch die Niederlande.
Vor rund einem Jahr wurden auch die deutschen Behörden wachgerüttelt und wendeten sich an unsere englischen Spezialisten. Allerdings nicht, weil Opfer sich in lokalen Polizeidienststellen gemeldet hätten. So etwas verläuft meist im Sande.
Den Anstoß gaben die Lufthansa und der deutsche Zoll, die sich seit einiger Zeit über große Mengen von Post wunderten, welche mit den Linienmaschinen aus Nigeria eingeführt wurden. Es waren Säckeweise Liebesbriefe an deutsche Frauen…
Was können Datingportale tun, um ihre Kunden zu schützen?
Zunächst einmal ist es im Sinne der Prävention wichtig, dass Datingportale über diese Risiken aufklären. Damit meinen wir nicht eine allgemeine Form der Information, sondern eine konkrete, personalisierte Ansprache und Sensibilisierung der Kunden, welche Verdachtsmomente bestehen und wie Singles Romance-Scammer identifizieren können.
Dann haben Datingportale sehr unterschiedlich gute Mechanismen entwickelt, um Scammer herauszufiltern. Ansätze bieten zum einen die Verbindungsdaten von neuen Mitgliedern, also E-Mail-Adressen, IP-Adressen, Art des Betriebssystems usw. Dann kann man Scammer an den verwendeten Fotos und Profiltexten erkennen und schon vor der Freischaltung eines Mitgliedes erkennen.
Da Scammer hier oft sehr geschickt vorgehen, ist vielfach erst das Verhalten der Scammer auffällig, nachdem das Profil online ging. Oft versenden sie in kurzer Zeit viele Mails mit recht langen Texten und verdächtigen Schlüsselwörtern, z.B. „love“. Und zwar vorrangig an Mitglieder, die ansonsten nicht besonders viele Mails bekommen. Aber auch hier gibt es viele Abweichungen im Verhalten, denn auch die Scammer wissen natürlich, wodurch sie auffallen und gelöscht werden.
Einige Datingportale empfinden Romance-Scammer übrigens als Bereicherung, denn sie animieren eine bestimmte Zielgruppe dazu, zahlendes Mitglied zu werden, um auf Mails antworten zu können. Wir fänden es sehr sinnvoll, wenn sich Datingportale zusammenschließen und einheitliche Scam-Filtermechanismen einsetzen würden.
Zum einen wären dann alle mit einer State-of-the-Art-Lösung versorgt, zum anderen würde ein Scammer-Foto, das bei Portal X aussortiert wurde, auch sofort bei Portal Y als verdächtig angezeigt werden können. Auch privatwirtschaftliche Anti-Scam-Lösungen können sinnvoll sein, hier vor allem Scamalytics.com.
Frau Prof. Whitty, herzlichen Dank für das Gespräch!
Wer hat das Interview "Expertin für Romance-Scammer" geführt?
Pamela Moucha arbeitet in der Test-Redaktion und verliebt sich gelegentlich beim Pilzesuchen im Wald.